16. Kapitel

Washington, D.C. 9. Februar

Beamon öffnete die Tür zum Strategic Information Operations Center des FBI, kurz SIOC genannt. Dahinter befanden sich etliche schalldichte Räume mit gläsernen Trennwänden.

Er füllte sich einen Pappbecher mit frischem Kaffee und nickte einem jungen Agenten zu, der diese Woche das Pech hatte, mit Telefondienst an der Reihe zu sein. Alle Anrufe, die außerhalb der Dienstzeiten eingingen, wurden ins SIOC umgeleitet.

Der größte der vier Räume war für sein Team reserviert worden. Durch die Glaswand konnte er sehen, dass Laura Vilechi bereits eifrig an der Arbeit war. Sie saß an dem Konferenztisch, der den Raum beherrschte, hatte die Nase in einem blauen Aktenordner vergraben, und hinter ihr stand eine große Wandtafel, auf die sie eine Tabelle notiert hatte.

ERMITTLUNG

DROGEN SCHECKS GIFT

Die Quelle ermitteln Bank Bestimmung

????? Beschreibung (Verkleidung)

Handschriftenprobe

Alias/Führerscheinnummer

Lance Richardson?

Beweismaterial (Umschläge)

Beamon schüttelte den Kopf und fragte sich zum fünfzehnten Mal, ob er nicht einen Fehler gemacht hatte, Laura als seine rechte Hand anzufordern – denn als solche wollte er sie den anderen vorstellen.

Sie hatten sich vor ungefähr fünf Jahren bei den Ermittlungen in einem Unterschlagungsfall kennen gelernt und rasch entdeckt, dass sie so gut wie nie einer Meinung sein konnten. Beamon war der geistesabwesende Professor, der immer wieder brillante Geistesblitze hatte, bei denen alle nur verblüfft den Kopf schüttelten. Dagegen fiel es ihm schwer, sich mit dem stumpfsinnigen Kleinkram zu befassen, wie er bei der alltäglichen Ermittlungsarbeit nun einmal an der Tagesordnung war.

Laura hatte eine vollkommen andere Arbeitsweise – und die Tafel zeigte ihm, dass sich nichts geändert hatte. Sie besaß ein fotografisches Gedächtnis für Details und verbiss sich fanatisch in einen Fall, drehte buchstäblich jeden Stein um und machte nie, nie einen Fehler.

Ihr erstes Treffen war alles andere als angenehm gewesen. Sie hatte bereits ein festes Konzept für die Ermittlung gehabt und war nicht gewillt, sich von irgendjemanden dreinreden zu lassen, nicht einmal von Beamon. Die Hände in die Hüften gestemmt, hatte sie vor ihm gestanden und ihn böse angefunkelt, während er über ihre Unerfahrenheit und ihre einfallslosen Methoden gewettert hatte. Aber nachgegeben hatte sie nicht, und das respektierte er.

»Na, wie geht’s, Laura?« Beamon schloss leise die Tür. Er konnte es kaum glauben, aber er war tatsächlich ein wenig nervös.

»Gut, Mark.« Ein Anflug von Unsicherheit lag in ihrem Blick.

Beamon musterte die Tafel. »Ich sehe, Sie haben sich nicht geändert.«

Sie deutete auf die große Tüte mit Donuts in seiner rechten Hand. »Ich sehe, Sie auch nicht.«

Beamon lachte und stellte die Tüte auf den Tisch.

»Ich wusste nicht, was Sie gern mögen, deshalb habe ich verschiedene Sorten mitgebracht.«

Laura öffnete die Tüte und zog ein Schokoladendonut heraus. Die Glasur klebte an ihren Fingern. »Also, da bin ich, aber ich weiß beim besten Willen nicht, warum ich hier bin.«

»Mein Arzt hat mir gesagt, ich hätte nicht genug Stress in meinem Leben. Da sind Sie mir natürlich eingefallen.« Beamon kramte grinsend nach einer weiteren Bärentatze. »Ich glaube, Sie haben unsere letzte Auseinandersetzung zu ernst genommen, Laura. Ich habe meine Arbeitsweise verteidigt, und Sie haben Ihre verteidigt. Verdammt, wenn sich irgendjemand nach diesem Fall angeschlagen gefühlt hat, dann war ich das.«

»Kommen Sie, Mark. Sie halten doch offenbar nichts von meinen Methoden. Warum haben Sie mich dann angefordert?«

Beamon runzelte die Stirn. »Falls ich Ihnen den Eindruck vermittelt habe, dass ich mit Ihren Methoden nicht einverstanden bin, dann tut es mir Leid. Die Tatsache, dass wir beide an ein Problem unterschiedlich herangehen, ist exakt der Grund dafür, warum Sie hier sind. Ich bin bereit zuzugeben, dass meine Schwäche bei den Details und dem alltäglichen Ermittlungskram liegt. Und meiner Ansicht nach ist es Ihre Schwäche, dass Sie zu unflexibel sind.« Laura wollte prompt widersprechen, aber er ignorierte es. »Nimmt man uns beide allerdings zusammen, hat man den perfekten Ermittler.«

»Und Sie glauben, wir kommen miteinander zurecht?«

»Sicher. Unser Problem beim letzten Mal war, dass keiner von uns wirklich die Leitung hatte. Diesmal bin ich der Boss.«

Fast zehn Sekunden schauten sie sich wortlos an. Laura wandte schließlich den Blick ab und griff nach ihrem Donut. »Vielleicht bin ich es das nächste Mal.«

Er lachte. »Der Gedanke macht mich jetzt schon schlaflos. Also, wann sind Sie angekommen? Sie sehen müde aus.« Ihr blauer Rock und die weiße Bluse wirkten etwas zerknittert, und ihr rotblondes Haar war nicht so streng zurückgekämmt wie sonst, was aber keine Rolle spielte. Sie wäre selbst in alten Jeans und einem schmutzigen Sweatshirt eine bemerkenswerte Erscheinung gewesen.

»Gestern Abend um zehn. Ich war noch wach und hab ferngesehen, als CNN anfing, aus den Krankenhäusern zu berichten. Da dachte ich mir, ich könnte genauso gut gleich herkommen, ehe das Telefon läutete.«

Beamon deutete auf den blauen Hefter, der neben ihr auf dem Konferenztisch lag.

»Gibt’s was Neues?«

»Nicht viel. Das Büro in Saint Louis hat mit jedem in der Bank gesprochen, wo der Verdächtige sich die Schecks besorgt hat – außer mit einem Angestellten, der offensichtlich gekündigt hat und auf einem Kletterurlaub in unbekannter Gegend ist. Wir finden ihn sicher in ein paar Tagen, aber er hatte sowieso kaum Kontakt mit unserem Verdächtigen. Kurz – viel haben wir nicht.« Sie blätterte die Seite um.

»Unsere Leute sprechen mit den Opfern, die noch in der Lage sind, zu reden, und sammeln die Namen ihrer Dealer. Bei der DEA versucht man herauszubekommen, woher die vergifteten Drogen stammen – aber es ist noch zu früh, um zu sagen, ob das etwas bringt.« Sie blätterte auf die nächste Seite.

»Unsere Jungs von der Gerichtsmedizin haben bislang nicht herausgekriegt, welches Gift verwendet wurde, aber sie arbeiten rund um die Uhr daran. Sie haben einen der führenden Toxikologen hinzugezogen – aus Harvard oder so.« Laura warf den Ordner auf den Tisch, dass er bis zur anderen Kante rutschte.

»Was ist mit dem Umschlag? Gibt’s da irgendwas?«

»Nichts.«

»Also kann man durchaus sagen, wir stehen beschissen da«, sagte Beamon.

»Eine etwas unglückliche Wortwahl, aber darauf läuft es hinaus.«

»Irgendwelche Schätzungen über die Opfer?«

»Das letzte Mal bewegten sie sich auf eine vierstellige Zahl zu.«

Beamon verschränkte die Arme und starrte auf die Tafel. »Das wird ein verteufelt interessanter Fall. Es ist das einzige Verbrechen, das ich je erlebt habe, bei dem die Opfer nicht reden wollen. Wir werden bei den Drogenkonsumenten gegen eine Mauer rennen und nicht die geringsten Informationen bekommen.«

Beamon überlegte, doch ihm kam kein brillanter Geistesblitz, und er wusste aus Erfahrung, dass er es nicht erzwingen konnte. Sie würden vermutlich auf den nächsten Schritt des CDFS warten müssen, um dann vielleicht etwas Greifbares zu haben. Das hieß, falls es einen nächsten Schritt gab.

Das durchdringende Läuten des Telefons unterbrach seine Gedanken. Er schaute sich um und entdeckte den Apparat auf einem Schränkchen an der Wand. Langsam schlenderte er hinüber und hob ab. »Mark Beamon.«

»Mark! Hier ist Trace.«

Trace Fontain war der Leiter des kriminaltechnischen Labors des FBI, wo man das Blut der Opfer und das beschlagnahmte Rauschgift untersuchte, um das Gift zu isolieren. Beamon kannte ihn nicht besonders gut, aber sie waren sich in den letzten fünfzehn Jahren immer mal wieder begegnet.

»Was gibt’s an guten Neuigkeiten, Trace?« Beamon fand eine Fernbedienung und versuchte den Fernseher einzuschalten, der an der Wand über ihm hing.

»Leider gar keine, Mark. Sie haben die Wahl zwischen schlechten und noch schlechteren Neuigkeiten.«

»Herrgott, mir ist anscheinend gar keine Atempause vergönnt. Dann zuerst die schlechten Neuigkeiten.«

»Es ist uns bisher noch nicht gelungen herauszufinden, um welches Gift es sich handelt. Wir wissen, dass es lebenswichtige Organe angreift, aber es ist ein Gift, das wir nie zuvor gesehen haben.«

»Verfluchter Mist, Trace. Sie brauchen den Dreck doch nur unter ein Mikroskop zu legen, so ein Massenspektrometer oder wie das heißt, und den Rest erledigt der gottverdammte Computer für Sie.«

Laura schaute ihn mahnend an. Er hatte vergessen, wie sehr er diesen Blick hasste.

Sie hatte natürlich Recht. Trace hatte genug akademische Auszeichnungen, um sein Haus damit zu tapezieren. Das FBI konnte von Glück sagen, ihn zu haben.

»Entschuldigung, Trace. Es ist noch ziemlich früh, wissen Sie? Servieren Sie mir die ganz schlechten Neuigkeiten.«

»Das wird Ihnen wirklich nicht gefallen.«

»Ich verspreche, nicht den Boten zu töten.«

»Wir haben die Opfer befragt, die noch ansprechbar sind, sowie die Organe der Toten untersucht, und es gibt Anzeichen dafür, dass es bei diesem Gift, nun ja … so etwas wie eine verspätete Reaktion gibt.«

Beamon überlegte einen Moment. »Das heißt also, wenn ich heute etwas Koks schnupfe, könnte es sein, dass sich bis zum nächsten Tag keinerlei Symptome zeigen? So ungefähr?«

»Nein … es ist ein bisschen schlimmer. Je nachdem, wie viel man nimmt und abhängig von der jeweiligen körperlichen Konstitution ist die Zeitspanne unterschiedlich.«

»Kommen Sie zum Punkt, Trace.«

»Nun, im Durchschnitt dauert es wohl, na ja … so etwa anderthalb Wochen, bis die ersten Symptome auftreten. Der Tod erfolgt dann nach drei Tagen.«

Beamon schlug langsam seinen Kopf gegen die Wand. »Heute keine weiteren schlechten Neuigkeiten mehr, okay?«

»Alles in Ordnung, Mark?«, fragte Laura, als er den Hörer hinknallte.

»Wussten Sie, dass einige Gifte erst verzögert wirken?«

»Ist wohl logisch, denke ich. Ich habe nie richtig drüber nachgedacht.«

»Und was glauben Sie, wäre die längste Zeitspanne?«

»Keine Ahnung. Ein oder zwei Tage?« »Eine oder zwei Wochen kommt eher hin.« Sie schwieg einen Moment. »Ist das jetzt wieder einer Ihrer blöden Scherze?«

»Fühlst du dich noch gar nicht besser, Schatz?«

Erica zog Blake die graubraune Wolldecke über die Schultern, in die er sich gewickelt hatte, und schaute besorgt in seine rotgeränderten Augen. Der Reverend gab keine Antwort.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir das gut tut«, sagte sie und deutete zum Fernseher. Auf CNN diskutierten Experten gerade über die geschätzten Opferzahlen. In der oberen rechten Ecke des Bildschirms war eine schwarzrote Grafik, die eine Spritze und eine Ampulle mit dem schlichten Aufdruck DIE DROGENKRISE zeigte. Die Angewohnheit der Medien, eine Tragödie so attraktiv zu verpacken wie einen Seifenriegel, widerte sie einfach an. Sie nahm die Fernbedienung von der Sessellehne und versuchte, etwas zu finden, das ihn ein wenig aufheitern könnte. Blake riss ihr die Fernbedienung wortlos aus der Hand und warf sie wieder auf die Sessellehne.

Erica schaute ihn bestürzt an. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er ihr jemals etwas derart grob aus der Hand gerissen hätte. Eigentlich hatte sie auch erwartet, dass er etwas zu sagen hätte über diese Tragödie, aber er hatte kein einziges Wort dazu geäußert. Dabei schaute er sich ständig diese Berichte an. Es liegt wahrscheinlich an der Erkältung, dachte sie, als sie verärgert aus dem Zimmer ging.

»Mach die Tür zu«, rief ihr Mann. Erica hatte sie absichtlich offen gelassen – er hatte noch nicht geduscht, und es roch ein wenig stickig in seinem Zimmer. Aber sie wollte sich nicht mit ihm streiten und schloss die Tür.

Nachdem sie gegangen war, stellte Blake den Ton lauter in der Hoffnung, auf diese Weise seine quälenden Gedanken zu übertönen. Mit leerem Blick starrte er auf den Bildschirm.

Er konnte nicht mehr schlafen, seit die ersten Opfer gestorben waren. Sicher, zwei davon waren Drogendealer gewesen – purer Abschaum, soweit es ihn betraf. Aber er war verantwortlich für ihren Tod, und das war ein Gefühl, das er nicht kannte und das ihm auch nicht besonders gefiel.

Dann war der Himmel eingestürzt. Die Schätzungen von CNN beliefen sich inzwischen auf vierhundert Todesfälle und weitere sechshundert Opfer, die nicht mehr zu retten waren. Eintausend Menschen. Natürlich hatten Hobart und er mit möglichen Opfern gerechnet, aber nicht in seinen wildesten Träumen hätte er so etwas für möglich gehalten. Warum hatten die Menschen nicht aufgehört, das Zeug zu nehmen? Die Anzeige war doch ganz unmissverständlich gewesen – hatte sie denn niemand gelesen? Nein, das war unmöglich. Das Fernsehen hatte rund um die Uhr auf sämtlichen Kanälen darüber berichtet. Jeder wusste davon, jeder.

Blake hustete und beugte sich über die Sessellehne, bis der Krampf nachließ. Ihm war übel, sein Magen schmerzte, und einen Moment lang dachte er, er müsse sich übergeben. Mühsam schaffte er es, das Würgen zu unterdrücken.

Mark Beamon drückte sich flach an die Wand und vermied gerade noch einen Zusammenprall mit einem Mann vom Secret Service, der auf die andere Seite des Raums wollte. Er fragte sich, wie diese Burschen das nur machten. Ungefähr dreißig von ihnen eilten hektisch hin und her; alle waren gleich gekleidet, alle hatten fast den gleichen Haarschnitt, und alle redeten im selben halblauten Einheitston. Beinahe wirkten diese Typen wie geklont.

Beamon reckte sich etwas nach links, wodurch er einen Blick auf den Vorhang hatte, der das kleine Auditorium abtrennte und in dem man gespannt auf den Beginn der Pressekonferenz des Präsidenten wartete. Er konnte zwar keine Bewegung hinter dem Vorhang entdecken, aber eigentlich konnte er gar nichts sehen.

Er wünschte, dieser Zirkus würde endlich anfangen. Das Make-up, das man ihm wegen der Fernsehkameras ins Gesicht geschmiert hatte, trocknete bereits in den Augenwinkeln und machte ihn verrückt. Er kratzte sich.

»Tun Sie das nicht, Mark.«

Beamon wandte sich um und sah Laura Vilechi, die sich durch die Menge schlängelte.

»Laura! Was machen Sie denn hier?«

»Ich bringe Ihnen ein Geschenk.«

»Ein Geschenk? Wirklich? Was denn?«

Laura zog eine kastanienbraune Krawatte mit dezenten blauen Punkten aus ihrer Tasche und hielt sie an die ausgefransten Revers seines Jacketts. Sie nickte beifällig. »Ich hatte nicht mehr die Zeit, Ihnen ein anderes Jackett zu besorgen, aber diese Krawatte sollte schon mal helfen.«

»Dann gefällt Ihnen also meine nicht?«

Laura zog eine Grimasse. »Im Fernsehen brauchen Sie eine Krawatte, die signalisiert: Vertraut mir, ich weiß, was ich tue und habe alles unter Kontrolle.«

Beamon packte Laura bei den Schultern und zog sie ein Stück weiter nach rechts. Ein Mikrofongalgen schwenkte knapp an ihrem Kopf vorbei.

»Ich weiß, ich werde diese Frage bereuen, aber was signalisiert denn meine Krawatte?«

Sie zog den Schlips aus seinem Jackett und hielt ihn hoch wie eine tote Maus. »Treffen wir uns später in meiner Bude, ich hab auch reichlich Bier im Kühlschrank.«

»Ich habe ein Sechserpack mitgebracht. Es ist noch ein bisschen früh, aber ich dachte, wir könnten es vielleicht brauchen.« Robert Swenson schloss die Wohnungstür und ging zum Kühlschrank. Es war 9.58 Uhr, und Hobart schaute sich die Einführung zur Pressekonferenz des Präsidenten an. Das heutige Thema interessierte ihn brennend.

Swenson ließ sich neben ihn aufs Sofa fallen und stellte zwei ungeöffnete Bierflaschen auf den Tisch. Das Bild des Weißen Hauses verschwand, und es wurde in einen überfüllten Raum mit einem leeren Podium geschaltet. Ein unverständliches Gemurmel kam von den Reportern, die unruhig und erwartungsvoll auf ihren Plätzen saßen.

Einige Augenblicke später schritt Präsident Daniel Jameson zielstrebig auf das Podium, dicht gefolgt von zwei konservativ gekleideten Männern. Er kramte für einen Moment mit dem Ausdruck tiefer Besorgnis auf dem Gesicht in seinen Papieren.

»Scheiße«, zischte Hobart leise.

Swenson schaute ihn verwundert an. »Die haben doch noch gar nichts gesagt.«

»Siehst du diesen Wichser neben Calahan?«

»Klar.«

»Das ist Mark Beamon.«

»Beamon … Woher kenne ich diesen Namen?«

»Er ist das Arschloch, das dafür gesorgt hat, dass ich bei der DEA rausgeflogen bin«, erwiderte Hobart und öffnete sein Bier. Swenson wollte nach weiteren Einzelheiten fragen, doch in diesem Moment begann der Präsident zu reden.

»Wie Sie alle wissen, hat eine Gruppe namens ›Committee for a Drug-Free Society‹ in einigen großen Tageszeitungen Anzeigen veröffentlicht und damit gedroht, Drogenlieferungen in die USA zu vergiften. Es scheint, dass sie ihre Drohung wahr gemacht haben. Wie ich höre, sind nach derzeitigen Schätzungen annähernd eintausend Menschen gestorben oder erkrankt.« Er schwieg einen Moment, um seine Worte wirken zu lassen. Die Reporter hatten Mühe, sich zurückzuhalten.

»Ich habe das FBI angewiesen, die Ermittlungen zu übernehmen und zu seiner vordringlichsten Aufgabe zu machen. Selbstverständlich werden alle anderen Behörden das FBI umfassend unterstützen. Und damit möchte ich Bill Calahan und Mark Beamon vom FBI vorstellen.«

Jameson wollte sich vom Mikrofon abwenden. Aufgeregt begannen die Reporter, ihm Fragen zuzurufen.

»Fragen nehmen wir am Ende der Pressekonferenz entgegen«, sagte er. Damit wandte er sich wieder um und schüttelte den beiden Männern die Hände, die jetzt ans Pult traten.

Calahan sprach als Erster, während Beamon zwei Schritte hinter ihm stand.

»Auf Bitten des Präsidenten habe ich eine Sondereinheit gebildet, um dieses schwere Verbrechen aufzuklären, und meinen Leuten eingeschärft, dass der Fall oberste Priorität hat. Zum Leiter dieser Einheit habe ich Mark Beamon ernannt, den viele von Ihnen bereits kennen. Mark wird Ihnen jetzt erläutern, wie weit wir mit den Ermittlungen bereits gekommen sind. Mark?« Calahan trat neben den Präsidenten. Beamon ging nach vorn und stellte sich das Mikrofon ein, wobei er sich fragte, wie er das bisschen, was er sagen konnte, so weit strecken sollte, dass es wie eine halbwegs vernünftige Rede klang. Nichts hasste er mehr als im Fernsehen zu erscheinen und zu verkünden, er habe absolut keine Ahnung, was vor sich gehe, tue aber sein Bestes, um es rauszufinden.

»Das FBI ermittelt bereits, seit die Anzeigen erschienen sind. Wir haben eine Reihe von Spuren, die wir mit Nachdruck verfolgen, obwohl wir bislang noch keine Verdächtigen haben.«

Herrgott, klang das lahm.

»Es ist uns zwar noch nicht gelungen, das verwendete Gift zu identifizieren, dafür konnten wir jedoch mehr über seine Wirkungsweise herausfinden. Ich denke, Sie von der Presse haben die Symptome bereits ziemlich anschaulich beschrieben.« Es lag ein Anflug von Sarkasmus in seiner Stimme. Die Journalisten schienen sich in einem erbitterten Wettstreit zu befinden, welcher Sender oder welche Zeitung mit den drastischsten Beschreibungen aufwarten konnte.

»Was wir allerdings erst heute Morgen herausgefunden haben, betrifft die … Reaktionszeit.« Er hielt inne und wusste, dass seine nächsten Worte eine Panik unter den Drogenkonsumenten verursachen würde. Es war fast so ein Gefühl, als sei er dabei, in einem überfüllten Theater »Feuer!« zu brüllen.

»Offensichtlich treten die Symptome erst anderthalb bis zwei Wochen nach dem Konsum auf. Mit dem Tod ist dann innerhalb von drei Tagen zu rechnen. Ein Gegenmittel scheint es nicht zu geben.«

Beamon trat unwillkürlich zurück bei dem Ansturm der Fragen, die ihm zugerufen wurden. Er hob eine Hand, um die Journalisten zu beschwichtigen.

»Bislang sieht es so aus, als sei nur Kokain vergiftet worden, aber lassen Sie mich betonen, dass in den Anzeigen nicht ausdrücklich von Koks die Rede war. Momentan sollte man alle Drogen als tödliches Risiko betrachten.«

Beamon lehnte sich gegen das Pult und schaute zum ersten Mal direkt in die Kamera. »Wenn Sie Drogen nehmen, hören Sie auf damit. Gehen Sie in eine Klinik, reden Sie mit Ihrem Pfarrer, fangen Sie an zu trinken oder zu stricken – was auch immer. Selbst wenn wir morgen diese Burschen fassen, lässt sich nicht sagen, wie viel von diesem Zeug noch in Umlauf ist.«

Er winkte Calahan und den Präsidenten zu sich. Die beiden Männer kamen fast widerstrebend ans Mikrofon.

»Ich denke, wir haben jetzt Zeit für ein paar Fragen.« Sämtliche Hände schossen nach oben.

Keiner der beiden Männer rührte sich, deshalb deutete Beamon auf eine Frau, an die er sich noch erinnerte. »Stacey.«

Sie schien fast zu elegant gekleidet für eine Reporterin, und er wusste, dass sie ein wenig mehr Klasse als die meisten ihrer Kollegen hatte.

»Wenn sich bei diesem Gift erst nach zwei Wochen die Symptome zeigen, ist es möglich, dass diese ersten tausend Opfer nur die Spitze des Eisbergs sind? Hat das FBI eine Schätzung darüber, mit wie vielen Toten zu rechnen ist?«

Calahan schien keine Anstalten machen zu wollen, auch nur den Mund zu öffnen, deshalb antwortete Beamon an seiner Stelle. »Es ist möglich, dass die ersten tausend nur die Spitze des Eisbergs sind. Allerdings gibt es viel zu viele unbekannte Faktoren, um abzuschätzen, was uns noch erwarten könnte.« Alle ließen das Mitkritzeln sein und reckten erneut die Hände.

»Gill.« Allmählich kannte er keine Reporter mehr, von denen er wusste, dass sie wenigstens einen Funken Anstand besaßen.

»Mr. Beamon, es hat eine Menge Gerüchte gegeben, dass die ganze Sache eine geheime Operation der Regierung sei, um den illegalen Drogenhandel in den USA zu stoppen. Möchten Sie etwas dazu sagen?«

»Nein, das möchte ich nicht. Aber wir haben ja den besten Experten für Regierungsoperationen hier bei uns. Mr. President?«

Jameson trat wütend ans Mikrofon. »Das ist lächerlich. Ich darf daran erinnern, dass man uns häufig dafür kritisiert hat, bei der Bestrafung von Kriminellen nicht hart genug durchzugreifen und mehr Wert auf Resozialisierung zu legen. Derartige Gerüchte entstehen bei einem solchen Ereignis zwangsläufig – sie entbehren jedoch absolut jeglicher Grundlage.«

Jameson trat zurück und flüsterte Beamon zu, er solle zum Ende kommen.

Beamon beugte sich zum Mikrofon. »Wir haben noch Zeit für eine Frage. Kim?«

»Sie haben erwähnt, dass Sie eine Reihe von Spuren verfolgen. Möchten Sie etwas dazu sagen und uns verraten, wie lange es Ihrer Einschätzung nach dauern wird, diesen Fall zu lösen?«

Beamon lächelte. »Nein, das möchte ich nicht, und wann der Fall gelöst sein wird, weiß ich nicht. Aber seien Sie versichert, dass wir alles Menschenmögliche tun. Danke sehr.«

Hobart schaltete den Fernseher aus und trank den Rest von seinem Bier.

»Sie haben absolut nichts in der Hand«, bemerkte er.

Swenson musterte ihn besorgt. »Aber zwischen dir und diesem Beamon gibt es irgendeine Verbindung?«

»Ja«, gab Hobart zu. »Muss zehn Jahre her sein – wir haben damals bei einem Fall zusammengearbeitet. Peter Manion war einer meiner Informanten. Er wollte mich für dumm verkaufen, und da hab ich ihn ein bisschen rumgeschubst, Peter ist über einen Tisch gefallen und hat sich den Arm gebrochen. Kurz darauf kam Beamon dazu und flippte aus. Er hat Manion ins Krankenhaus gebracht und mich angezeigt.«

»Und was ist passiert?«

Hobart lächelte. »Ich hab mich natürlich gewehrt – hab Peter dazu gebracht, dass er aussagt, Beamon sei bei der ganzen Sache mit dabei gewesen. Die verfluchten Anhörungen zogen sich ein Jahr lang hin, in dem wir beide auf unbezahltem Urlaub waren. Am Ende wurde ich gefeuert, und er wurde degradiert und nach … Montana geschickt, glaube ich.«

Swenson nickte gedankenvoll. »Ist er gut?«

»Schon. Aber nicht so gut, wie er es sich einbildet. Er hat auch nicht viel Unterstützung in der Chefetage. Wenn man mal einen offiziellen Verweis kassiert hat, weil man einen Informanten verprügelt hat, hängt einem so was ewig an.«

Hobart stand grinsend auf und ging zu einem Schachbrett mit merkwürdig angeordneten Figuren. Vom Fernseher nahm er einen schwarzen König und stellte ihn feierlich dazu.

»Das wollte ich dich sowieso schon fragen, John«, sagte Swenson. »Ich glaube, das ist nicht ganz richtig aufgebaut.«

»Es ist genau richtig.« Hobart deutete auf die rechte Seite, wo in der ersten Reihe ein weißer König mit seiner Dame stand. Acht weiße Bauern waren über das Brett verteilt, ansonsten gab es keine weiteren weißen Figuren. »Wir sind die Weißen. Für uns beide stehen der König und die Dame. Die acht Bauern stellen unsere Männer im Feld dar.«

Er blickte auf die linke Seite des Bretts, wo zwei komplette Reihen von Bauern standen, eine blau, die andere schwarz, dazu jeweils ein König und eine Dame. »Die schwarzen Figuren repräsentieren das FBI. Beamon ist der König. Tom Sherman, der stellvertretende Direktor und Beamons stärkster Verbündeter, ist die Dame.«

»Und die blauen?«

Hobart runzelte die Stirn. Die Antwort war doch offensichtlich. Vielleicht war sein Partner doch nicht so helle, wie er gedacht hatte. »Das Drogenkartell. Ich weiß noch nicht, für wen der König und die Dame stehen, aber ich schätze, dass es Luis Colombar und sein Berater sein werden – Alejandro sowieso. Colombar ist derzeit der mächtigste Mann in Kolumbien – und ich habe eine Lieferung aus seiner Raffinerie vergiftet. Aber natürlich können sich in diesem Gewerbe die Verhältnisse rasch ändern.«

Mark Beamon 01 - Der Auftrag
cover.xhtml
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_000.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_001.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_002.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_003.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_004.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_005.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_006.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_007.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_008.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_009.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_010.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_011.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_012.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_013.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_014.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_015.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_016.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_017.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_018.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_019.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_020.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_021.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_022.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_023.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_024.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_025.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_026.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_027.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_028.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_029.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_030.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_031.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_032.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_033.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_034.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_035.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_036.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_037.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_038.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_039.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_040.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_041.htm
Mills, Kyle - Der Auftrag_split_042.htm